„People am Neuen Wall: Robert Eberhardt“

Der Neue Wall gehört zu den zehn führenden Luxus-Einkaufsstraßen Europas. Das „Neuer Wall Magazin“ stellt in der Rubrik „People am Neuen Wall“ Personen vor, die an diesem exklusiven Ort arbeiten und ihn prägen, dieses Mal u. a. Robert Eberhardt, den neuen Mitinhaber von Felix Jud.

Die Geschichte der Buchhandlung Felix Jud beginnt 1923, also vor fast 100 Jahren in den Colonnaden, als Felix Jud dort im Alter von 24 Jahren seine „Hamburger Bücherstube“ eröffnete, welche bis heute einen wesentlichen Beitrag zum literarischen und kulturellen Leben der Hansestadt leistet. 

Auch und gerade in der Zeit des Nationalsozialismus, als man Herrn Jud nahelegte seinen Namen zu ändern, nutzte er diesen jedoch zum Protest, in dem er den Slogan „Jud bleibt Jud“ als Werbebotschaft adaptierte und damit ad absurdum führte. Er stand dem Widerstand nahe, war Mitglied der „Weißen Rose“ Hamburg und Schriften verbotener Autoren konnten bei ihm durchaus bezogen werden. Nach dem Krieg siedelte Felix Jud 1948 mit seiner Buchhandlung an den Neuen Wall über und ist seither ein nicht wegzudenkender Bestandteil dessen.  

NW MGZN: Felix Jud ist heute weit mehr als eine Buchhandlung. Was macht sie heute aus? 

Wir haben uns von der einstigen „Bücherstube“ zur Buch- und Kunsthandlung plus Antiquariat entwickelt. Diese drei Säulen machen heute Felix Jud aus. 

In der Buchhandlung legen wir großen Wert auf eine Auswahl an Neuerscheinungen, aber auch Klassiker werden hier sehr gepflegt. Ganz wichtig, so meinen wir, ist aber auch das Kinderbuch, von welchem wir eine besonders sorgfältig ausgewählte und große Selektion bieten – als Nachwuchsförderung. Ausstellungen zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler so wie der klassischen Moderne finden einen immer größeren Raum in unserem Geschäft. 

Ein schönes Beispiel für das Zusammenspiel von Literatur und Kunst ist Hermann Hesse, der neben seinem literarischen Werk auch viele Aquarelle fertigte. Ab Ende September zeigen wir in einer außergewöhnlichen Schau kostbare Bücher, Aquarelle und illustrierte Gedichte von Hesse.

Das Antiquariat ist bestückt mit zum Teil hochwertigen Büchern oder originalen Dokumenten, wie Briefe von Thomas Mann. So kommen zum Beispiel immer wieder handsignierte Originalausgaben von Thomas Mann zu uns, um nur ein Beispiel zu nennen.

NW MGZN: Der Neue Wall scheint eher dem Kommerz, als der Kunst und dem intellektuellen Ansprüchen nahe zu sein. Wie passt das zusammen?

Unser Vorgänger Herr Weber, einst Mitarbeiter, dann Geschäftspartner von Herrn Jud, nannte den Neuen Wall mitunter „Luxuswüste“, wobei dies vielleicht gar nicht negativ gemeint war, da natürlich vielfach der Kunde mit einem gehobenen Geschmack auch einen entsprechenden intellektuellen Anspruch pflegt. Oft wird der Erwerb eines neuen Kleidungsstücks oder einer Handtasche mit einem schönen Buch bei uns abgerundet. Wer möchte bitte in Chanel auf dem Sofa sitzen und ein schlechtes Buch in der Hand oder ein kitschiges Bild an der Wand haben? Bei uns findet man das Ästhetische für Geist und Auge.

Dadurch, dass wir schon so lange in Hamburg sind, haben wir eine sehr treue, exklusive und hanseatische Stammkundschaft und schaut man in die Firmenchronik, spiegelt diese auch die Stadtgeschichte wider. Man wird fast erschlagen von berühmten Namen. Nobelpreisträger, alle Bürgermeister der Stadt und natürlich auch Stars gehörten seit jeher zu unseren Kunden und Gästen. So waren wir die Lieblingsbuchhandlung von Karl Lagerfeld und werden am 20. Oktober gemeinsam mit Alfons Kaiser dessen Buch „Karl Lagerfeld, ein Deutscher in Paris“ im Fontenay Hotel vorstellen.

Immer ging und geht es darum sich hier über Buch und Kunst und das Ästhetische zu unterhalten, auszutauschen und den Zeitgeist mit unseren Mitteln des Buch- und Kunsthändlers widerzuspiegeln und zu beeinflussen – dafür ist der Neue Wall einfach perfekt, nicht zuletzt auch durch seine Nähe zu Rathaus, Börse und Verlagshäusern. Und sogar Liebes- und spätere Ehepaare haben sich bei uns beim Stöbern kennengelernt!“  

NW MGZN: Stichwort Zeitgeist und Kunst: Sie sind im Juli dieses Jahres als Mitinhaber bei Felix Jud eingestiegen und stellen mit Ihren 33 Jahren vielleicht so etwas wie die neue, die 4. Generation des Hauses dar, nach Herrn Jud, Herrn Weber und Frau Krauth, welche nach wie vor als Geschäftsführerin mit Ihnen gemeinsam die Geschicke des Hauses lenkt. Sie sind ein vielseitiger Kulturunternehmer: studierter Kunsthistoriker in Heidelberg und Paris, Verleger, Galerist und Autor – das passt perfekt zum Haus, oder?  

Für mich ist ein Traum in Erfüllung gegangen, in einer der bekanntesten Buch- und Kunsthandlungen in Europa, in der schönsten Stadt Deutschlands, mit einem wunderbaren und gebildeten Publikum arbeiten zu dürfen und diese in den kommenden Jahren mitgestalten zu können. Und es stimmt: Ist man nur ein Bücherwurm ohne Erfahrung in der Kunst- und Galerieszene, ist es schwierig den Besonderheiten des Hauses gerecht zu werden, anders herum natürlich ebenfalls, denn man muss Bücher lieben und viel lesen, um immer aktuell informiert zu sein. Und ohne übergreifend kunsthistorisches Wissen und die Lust auf Gespräche und Begegnungen kann es auch etwas schwierig werden.

NW MGZN: Und wo erholen Sie sich von Ihrer Arbeit am Neuen Wall?“ 

Als „Hobby“ saniere ich zwei Baudenkmale in Thüringen, meiner Heimat, die auch mit der Literaturgeschichte verbunden sind. In der „Todenwarthschen Kemenate“ in Schmalkalden waren um 1800 Jean Paul und Johann Gottfried Seume zu Gast, dem „Rußwurmschen Herrenhaus“ in Breitungen entstammt die Familie von Gleichen genannt Rußwurm, in die Schillers älteste Tochter einheiratete. Wenn ich ein alte Tür abschleife oder Zwetschgen pflücke, erhole ich mich.

NW MGZN: Was planen Sie für die Zukunft? 

Natürlich werden wir die Buch- und Kunsthandlung am Standort weiterführen und gerade in der „neuen Realität“ Begegnungen zwischen Menschen heiteren Sinnes und frohen Mutes ermöglichen. Und wir werden unser Angebot und unsere Formate weiter verjüngen und möchten noch mehr Buch- und Kunstfreunde meiner Generation an das Haus binden. Wir werden es den Gegebenheiten der Zeit anpassen, uns neue Formate einfallen lassen und auch dem Thema der Digitalisierung stehen wir offen gegenüber. 

So gibt es seit Anfang 2020 einen Webshop und viele Empfehlungen und Beiträge sind in unseren sozialen Medien-Kanälen zu finden, auch hier werden wir zunehmend aktiver und progressiver werden, denn ein starker stationärer Einzelhandel funktioniert nur noch mit komplementärer digitaler Akquise und Kundenbindung. 

Man soll Bücher per WhatsApp bestellen können und sich zudem in der Buchhandlung verlieben dürfen – in ein Buch, ein Gemälde oder auch in zwei Augen!





ENGLISH VERSION


IN CONVERSATION WITH ROBERT EBERHARDT NEW PARTNER OF THE BOOKSTORE FELIX JUD

The history of the Felix Jud book store began 97 years ago in the Colonnaden, when Felix Jud opened his “Hamburger Bücherstube” in 1923. Which made a significant contribution to the literary life of the hanseatic city there until the end of World War II. Even and especially during the time of National Socialism, when Mr. Jud was suggested to change his name, he used it to protest, in which he adapted the slogan “Jud bleibt Jud” as an advertising message. He was close to the resistance and a member of the “Weißen Rose” and writings by forbidden authors could be purchased from him. 

After the war, Felix Jud moved his bookstore to the Neuer Wall in 1953 and has been an integral part of it ever since.  

NW MGZN: Felix Jud today is more than a bookstore, what makes it different today? 

Today we have developed from the former bookstore to a book and art shop plus antiquarian bookstore. These three pillars make up Felix Jud today. In the bookstore, we place great value on a selection of new publications, but classics are also very well looked after here. However, we believe that children’s books are also very important, from which we offer a particularly carefully chosen and large selection – to promote young talents, so to speak.

Exhibitions by contemporary artists and artists of classical modernism are becoming increasingly important in the sales exhibitions in our business. A fine example of the interplay between literature and art is Hermann Hesse, who in addition to his literary work also made many watercolors. 

From the end of September we will be showing a great selection from Hesse with many works, watercolors from Ticino and illustrated poems.The antiquarian bookshop is stocked with some very high-quality pieces, for example hand-signedoriginal editions by Thomas Mann, to name just one example.

NW MGZN: The Neue Wall seems to be closer to commerce than to art and intellectual demands, how does that fit together? 

Our predecessor, Mr Weber, once an employee, then a business partner of Mr Jud, always called the Neuer Wall „luxury desert ”, although this was surely not meant in a negative way, since customers with high demands also have corresponding intellectual demands. So the purchase of a new item of clothing or a handbag is often rounded off with a nice book. At Felix Jud you´ll find the aesthetic formind and eye. 

Because we have been in Hamburg for so long, we have a very good and hanseatic regular audienceand if you look at the company chronicle, it also reflects the city’s history and you are almost overwhelmed by famous names. Nobel laureates, all of the city’s mayors and, of course, stars have always been among our customers and friends. We were Karl Lagerfeld’s favourite bookstore and will probably read together with Alfons Kaiser in his book „Karl Lagerfeld, a German in Paris“ in the Fontenay Hotel on October 20th.

It was always and will always be about – talking about books, art and the aesthetic, exchanging ideas, reflecting the “Zeitgeist” and influencing the time with our book and art dealership – the Neuer Wall is simply perfect for this, not at least because of its proximity to Town hall, stock exchange and publishing houses.

NW MGZN: Keyword time and art: You joined Felix Jud as a partner in June of this year and perhaps represent something like the new, 4th generation of the company, after Mr. Jud, Mr. Weber and Mrs. Krauth, who is still in charge of the house. You’re an art historian, publisher, gallery owner and author – that fits the house perfectly, doesn’t it? 

For me, a dream has come true, to be able to work in one of the most beautiful bookshops in Europe, in the most beautiful city in Germany, with a wonderful and educated audience and to be able to help shape it in the years to come. 

And it is true, if you are a bookseller with no experience in the art and gallery scene, it is difficult to do justice to the special features of the house, and vice versa, of course, and without comprehensive art-historical knowledge, it can also be a bit difficult.

NW MGZN: Where and how do you recover? 

As a „hobby“ I run some monument renovation projects in Thüringen, my home state, which often even have literary roots. A nice example is my project for the Rußwurmschen Herrenhaus, because Schiller’s oldest daughter married one of them – Russwurm. When I grind down an old door or pick plums, I recover.

NW MGZN: What are you planning for the future?  

Of course we will continue to run the bookstore in the city center, but we will certainly continue to rejuvenate our offers and bind more people of my generation to the house. We will adapt it to the realities of the time, come up with new formats and also address the issue of digitalization. 

There has been an online shop since the beginning of 2020 and a lot of information and articles can be found in our social media channels, here too we will become increasingly active and progressive.

Foto: Giovanni Mafrici

September 2020

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