Ob Schaufensterbummel oder Windowshopping – für den stationären Einzelhändler ist das Schaufenster ein wichtiger Bestandteil der Warenpräsentation. Der Begriff
visual merchandising ist jung und seit dem späten 20. Jahrhundert in der Marketingsprache gebräuchlich, doch die Bedeutung des Schaufensters als Warenpräsentationsfläche und Instrument wurde bereits im 19. Jahrhundert vom Händler gezielt eingesetzt, um Aufmerksamkeit, Neugier und Verlangen nach der Ware zu erregen.
Zahlreich sind die Spuren in der Literatur des 19. Jahrhunderts, die das Flanieren durch die Straßen einer Stadt mit einer bewussten Beobachtung der Auslagen in den Schaufenstern verbinden. Für Honoré de Balzac war der Paris-Bummler, der les vitrines betrachtete, ein „Feinschmecker des Auges“.
Franz Hessel nannte das Flanieren durch Geschäftsstraßen „eine Art Lektüre der Straße“. Der Schaufensterbummel ist zu einer rein urbanen Erfahrung geworden.
In den Schaufenstern von Felix Jud sind neben Büchern und Kunstwerken oft besondere Objekte eingebaut, in der Vergangenheit war das zum Beispiel der Zettelkasten von Walter Kempowski, ein Widmungsexemplar aus der Privatbibliothek von Fritz J. Raddatz oder ein Wappenschild aus dem Besitz der Patriotischen Gesellschaft.
Beliebt und viel beachtet ist auch das Pressefenster. Aktuelle Prints aus Tagezeitungen bieten wir hier den Passanten der Passage zum Lesen an. Und oftmals bitten uns Kunden um den originalen Zeitungsausschnitt. Die Schaufensterausstellungen wiederum wurden oftmals in der Presse beachtet und kommentiert, denn sie sind Statements zu gesellschaftlichen und politischen Themen ganz in der Tradition von Felix Jud.
Legendär ist das von dem Firmengründer Felix Jud gestaltete Sonderfenster zum Geburtstag des „Führers“, wie der Literaturwissenschaftler und Autor Rainer Moritz in seinem Buch über die Geschichte der Buchhandlung Die Fütterung der Schlangen geschah vor Ladenöffnung bemerkt dazu:
„Zum Stadtgespräch wurde Felix Jud schließlich am 20. April
1935, als alle Buchhändler die Order erhielten, Sonderfenster zum
Geburtstag des „Führers“ zu gestalten. Mit der ihm eigenen List
verlieh Jud seiner Auslage einen Reiz, der nicht nur seine Stammkunden
in Scharen anzog: In die Fenstermitte platzierte er ein
schief hängendes Illustriertenbildnis Hitlers, das er mit knapp
zwanzig Exemplaren eines Erfolgstitels jener Jahre einrahmte:
des bei Ullstein erschienenen Reiseberichts Heitere Tage mit braunen
Menschen (1930), verfasst von dem aus Böhmen stammenden
Schriftsteller Richard Katz. Das Cover des Südseebuchs zeigte
eine leicht bekleidete dunkle Schönheit mit Blumen im Haar,
die sich auf dem Stamm einer Palme niedergelassen hat. Mühelos
kann man sich die hinter vorgehaltener Hand feixenden Menschen
vorstellen, die vor dem Fenster stehen blieben, diebische Freude
an Felix Juds frecher und ungemein couragierter Inszenierung fanden
und sich gleichzeitig sicher ängstlich fragten, ob diese Provokation
für ihren Urheber nicht verheerende Folgen haben würde.“ (S. 29f.)
Rainer Moritz bezeichnet die Felix-Jud-Fenster auch als „Theaterinszenierungen“:
„Das Entree zu diesem geistigen Raum sind die Schaufenster,
für deren Gestaltung der seit 1979 bei Felix Jud arbeitende Klaus
Lameier verantwortlich ist. Im Lauf der Zeit ist es ihm dabei gelungen,
eine ganz spezifische Handschrift zu entwickeln, die für
das, was in den Fenstern präsentiert wird, hohe ästhetische Maßstäbe
setzt. Einmal pro Woche wird eines der Fenster neu gestaltet.
Diese fungieren als Spiegel des Geschäftes und orientieren sich
an deren inhaltlichen Schwerpunkten. Dem Einfallsreichtum von
Lameier und seinen Kollegen sind dabei kaum Grenzen gesetzt.
Mal reagiert man auf Ereignisse, die das politische Geschehen
der Stadt bestimmen, mal auf nationale Themen, die die Menschen
beschäftigen.
2002 wurde der 100ste Geburtstag des Juristen und Widerstandskämpfers
Hans von Dohnanyi, der 1945 im KZ Sachsenhausen
ermordet wurde, mit einer Schaufensterausstellung gewürdigt.
Die Söhne Klaus und Christoph lieferten dafür Fotografien aus
dem Familienbesitz, und die Presse berichtete über das »Wiedersehen
der Dohnanyis«. Dass dazu ein umfassendes Angebot an
Literatur zum zivilen Widerstand zu sehen war, gehörte natürlich
zur Verpflichtung des Hauses.
Die Schaufenster haben sich zu einem Stilmittel entwickelt,
und die Präsentation bietet eine ideale Möglichkeit, aus den Beständen
der aktuellen Neuerscheinungen, des Antiquariats und des
Kunsthandels Objekte zusammenzutragen und aufeinander abzustimmen.
Wenn so im Frühjahr oder Sommer das Thema »Garten«
ins Zentrum gerückt wird, lassen sich verschiedene kulturgeschichtliche
Zeugnisse – ein handschriftlicher Brief des Fürsten
Hermann Pückler-Muskau und Ulrich Timms Die geheimen Gärten
von Hamburg etwa – präsentieren und die Vielfalt dessen zeigen,
was Kunst, Literatur und Philosophie im Lauf der Jahrhunderte zu
diesem Sujet eingefallen ist.
Die ungebrochene Lust an gewitzten Einfällen, die sich auf
den Flaneur im Neuen Wall sofort überträgt, bringt es sogar mit
sich, dass gegen die selbst auferlegte Vorgabe, keine Naturalien
im Fenster zu präsentieren, verstoßen wird. Doch was wäre ein
Schaufenster, das die Naturkunden-Reihe des Verlags Matthes &
Seitz präsentiert und Korbinian Aigners Prachtband Äpfel und
Birnen gewesen, wenn es nicht mit ausgewählten Apfel- und
Birnensorten dekoriert worden wäre?
»Das ist ohne Übertreibung
die schönste Fensterdekoration, die ich bislang gesehen habe«,
kommentierte der Verleger Andreas Rötzer das Ergebnis.
Die Schaufenster, die vom Hamburger Abendblatt auch schon
mal als »großes Kino« bezeichnet wurden, reflektieren zudem, was
an Kunstausstellungen in der Stadt zu sehen ist und was auf den
Bühnen gespielt wird. Sie zeigen Neuerscheinungen von Hamburger
Literaten wie Arno Schmidt, Hans Henny Jahnn oder Fritz
J. Raddatz, und sie würdigen Kleinverlage, deren oft bibliophile
Raritäten sich gut ins Bild des Buch- und Kunsthandels Felix Jud
fügen. […]
Wilfried Weber erinnerte sich gern daran, wie er von Felix
Jud in den 1960er-Jahren den Auftrag erhielt, für das TV-Idol
Bernhard Grzimek ein Schaufenster zu gestalten, um dessen mehrbändige Zoologie zu bewerben. Weber nahm mit einem
Schlangenbesitzer Kontakt auf, der – in einer eigens angefertigten
Holzvoliere – zwei seiner Tiere im Schaufenster platzierte. Eine
Attraktion mehr am Neuen Wall und ein sich in prächtigen Umsätzen
niederschlagender Aufwand. Die Fütterung der Schlangen
mit lebenden Mäusen geschah morgens vor Ladenöffnung.“ (S. 145-148)
Gegenwärtig ist selbst diese Kulturtechnik des Flanierens in Zeiten der Pandemie (fast) nur noch alleine erlaubt.
Wir laden Sie deshalb zu einem digitalen „window-check“ ein. Regelmäßig zeigen wir Ihnen auf unserem Social-Media Kanälen und hier unsere aktuellen Schaufensterausstellungen.
Sandra Hiemer
Foto: Gemälde von Helena Parada Kim;
Esel, Nelke, Koralle u.v.a.
Tier- und Pflanzenporträts aus der Reihe Naturkunden, erschienen im Berliner Verlag Matthes & Seitz, je 18 oder 20 Euro.