Ernst Ludwig Kirchner

Dieses Werk ist im Ernst Ludwig Kirchner Archiv Wichtrach/Bern dokumentiert. »Ich glaube, dass ich das Wirkliche, das Eigentliche der Dinge und Wesen besser fassen kann, wenn ich sie beobachte… und ich meine, dass alle Seh- und Empfindungserfahrungen der Menschen sehr viel mehr aus diesem Zustand der Bewegung kommen und dass deshalb eine Form, die aus der Bewegung abgeleitet wurde, sehr viel mehr zu den Menschen spricht als die andere, die ich die akademische nenne.«1

Am 7. Juni 1905 gründet Ernst Ludwig Kirchner zusammen mit Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff und Fritz Bleyl, die allesamt Architektur an der Sächsischen Technischen Hochschule in Dresden studieren, die Künstlervereinigung »Die Brücke«, die den Expressionismus in Deutschland ausschlaggebend prägt und einen großen Einfluss auf die moderne Malerei hat. Von französischen, aber auch von skandinavischen Malern inspiriert, entwickelt Kirchner in dieser wichtigen, frühen Schaffensphase seinen ganz eigenständigen, innovativen und ausdrucksstarken Stil, der seine Arbeiten unverkennbar macht und viele nachfolgende Künstler inspiriert. Kirchner, dessen ästhetisches Prinzip in der Intensivierung des Ausdrucks und der Visualisierung des subjektiven Sehens liegt, findet insbesondere im Medium der Zeichnung ein geeignetes Mittel, um seine scheinbar niemals versiegenden, künstlerischen Visionen im Moment der Erfahrung zu Papier zu bringen. Liegend, ihren Kopf auf die Lehne eines weich

gepolsterten Sofas bettend, öffnet die linke Figur mit halb verschlossenen Augen ihren Mund, um den Rauch der Zigarette, locker zwischen zwei Finger der Rechten geklemmt, auszublasen. Ähnlich Edouard Manets Olympia, offenbart die Drehung ihres Körpers einen nackten Körper frei jeglicher Binnenzeichnung, der ein Zeichen von Entspanntheit sowie Selbstbewusstsein ist und der sich unmittelbar dem Betrachter präsentiert. Der über das rechte Bein geschlagene, linke Oberschenkel bedeckt ihre Scham nur teilweise und verbindet sich unbestimmbar mit dem Schoß ihrer Gesprächspartnerin. Diese sitzt ihr zugewandt am Fußende des Sofas, den rechten Arm auf den Unterschenkel der Vertrauten gebettet, mit einer Zigarette in der Linken und dem Haar zu einem lockeren, hohen Dutt gebunden. In wenigen, auf Kontraste zielenden, buntfarbigen Linien und Schraffuren verschmelzen die beiden Figuren zu einer kompositorischen Einheit: Verbunden durch die Vereinheitlichung der Flächen der rundlichen Körper – zusammengehalten durch sie umgebende, flüchtig schraffierte Akzente und eine blaue, geschwungene wie schwellende Kontur, die sich geschmeidig um die sich zugewandten Körperhälften der Frauen legt. Kirchner skizziert nicht die akademische Pose, sondern einen Ausdruck der Ungezwungenheit; ein Lebensgefühl, das aufgrund der vereinfachten malerischen Mittel und der gezielten Akzentuierung von Leerflächen, losgelöst von der Wiedererkennbarkeit der Dargestellten, unmittelbar auf den Betrachter wirkt und in seiner Sensualität Einblick in eine Realität des Bewusstseins vermittelt.

1 Eberhard W. Kornfeld, »Ernst Ludwig Kirchner, Nachzeichnungen seines Lebens«, Bern 1979, S. 341.

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